Sascha Schulz
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Der Schneemann
 

 

Es war kalt. Nein… es war SEHR kalt.

Tagelang schneite es und der Schnee bedeckte das Land. Kahle Bäume trugen eine Krone aus Schnee und die Luft schien unglaublich klar.

Auf einem großen Feld, auf dem nur ein einsamer Baum stand, der im Sommer als Grundstein für Baumhäuser herhalten musste, lag die Schneefläche eben und glatt und nur die Spuren von kleinen Häschen, die morgens im Schnee herum hüpften, konnte man erkennen.

Der Baum genoss die Ruhe des frühen Vormittages. Er hatte schon viele Baumhäuser erlebt und seine Rinde zeigte viele Wunden von Nägeln und festgezurrten Seilen, die aber schon seit vielen Jahren verheilt waren. Kinder konnten eine spaßige Sache sein, wenn sie auf einem herumtollten und ihr Baumhaus hübsch einrichteten.

Die Mädchen statteten ihr Baumhaus mit Gardinen, Postern und Teppich aus. Sie setzen Blumenkästen in die groben Fenster und kicherten über ihre Geheimnisse und die blöden Jungs, die sowieso alle doof waren.

Die Jungs bauten Festungen mit Schießscharten. Sie brauchten Fluchtausgänge, Seile zum klettern und ein gutes Blickfeld, um gegnerische Banden frühzeitig zu erkennen. Auch sie lachten über ihre Geheimnisse….. und fanden Mädchen doof.

An diesem Vormittag stampften zwei Kinder mit einem großen Sack durch den tiefen Schnee und begannen eine Schneekugel zu formen. Neugierig beobachtete der Baum die Zwei.

Die Kugel wurde hin und her gerollt bis sie die Größe hatte, die den Kindern gefiel. Dann nahmen sie eine zweite Schneekugel. Zuerst war sie handgroß und nach wenigen gerollten Metern hatte die kleine Kugel beachtlich an Größe gewonnen.

„Potzblitz“, dachte der Baum, als die Kinder eine dritte Kugel erschufen. Sie setzten die Schneebälle aufeinander.

Eines der Kinder griff in den Sack und holte Kohlestücke heraus. Sie verpassten der oberen Kugel zwei Augen und einen grinsenden Mund. Die mittlere Kugel bekam Knöpfe aus Kohle.

Dann wurde eine Mohrrübe aus dem Sack gezaubert und wurde zur Nase ernannt.

Der Baum war neugierig, was sich noch im Sack befand. Es war ein alter, schwarzer Zylinder.

Die Kinder tollten um den Schneemann herum und fanden, dass sie eine gute Arbeit geleistet hatten.

Gegen Abend gingen sie nach Hause und der nächste Tag brach an. Der Schneemann schaute sich um in Erwartung, dass die Kinder wieder vorbeikommen würden, um mit ihm zu spielen. Doch es kam niemand. Es folgte ein weiterer Tag aber außer einem Fuchs konnte der Schneemann niemanden entdecken. Niemand kam zu Besuch. Man hatte ihn vergessen.

Am 5. Tag schüttelte der Schneemann den Schnee von seinem alten Zylinder und seufzte.

„Tja mein Junge. Menschen vergessen leicht…“, sagte der Baum.

Der Schneemann hätte vor Schreck beinahe einen Herzinfarkt bekommen….

„Meine Güte! Du hast mich aber erschreckt!“, sagte der Schneemann und atmete tief durch.

„Entschuldigung.“

„Schon gut. Ziemlich langweilig hier, oder?“

Der Baum seufzte.

„Ach, wenn man so lange hier herumsteht und Wurzeln schlägt, ist man es gewohnt alleine zu sein. Im Grunde ist es recht angenehm hier alleine auf dem Feld zu stehen. In einem Wald würden mir die anderen Bäume durch ihr ständiges Quatschen nur auf den Keks gehen.“

„Mh…stimmt. Wie alt bist du denn?“

„Ts..das fragt man nicht. Ich schätze, ich bin um die 95 Jahre alt.“

„Oh, du siehst nicht älter als 85 aus.“

„Oh, danke. Das macht der gute Boden in dem meine Wurzeln stecken.“, sagte der Baum bescheiden.

Der Schneemann schaute in den weißen Himmel und seufzte erneut.

„Ich habe zwar nicht so viel zu erzählen, weil ich nur ein paar Tage alt bin, aber in den nächsten Jahren bin ich sicherlich ein guter Zuhörer.“, sagte der Schneemann grinsend.

Der Baum räusperte sich.

„Ich glaube nicht, dass du mir so lange Gesellschaft leisten wirst.“

„Wieso?“, fragte der Schneemann erstaunt.

„Na.. du bist aus Schnee gebaut. Du wirst schmelzen!“

„Ich werde was?“, fragte der Schneemann entsetzt.

„Du wirst schmelzen!“, wiederholte der Baum.

„Aber ich bin doch noch so jung. Ich will nicht schmelzen!“, protestierte der Schneemann.

„Junge, irgendwann scheint wieder die Sonne. Seit ich ein zartes Bäumchen war, tauchte die Sonne immer wieder auf. Ich habe warme Sommer erlebt und kein Schneemann hat je die Hitze überlebt. Sobald der Schnee taut und der Frühling ins Land marschiert, wirst du nicht mehr existieren.“

Der Schneemann schluckte und blickte erneut in den bewölkten Himmel. Er konnte einen hellen Ball hinter den Wolken ausmachen.

Der Baum schaute in dieselbe Richtung.

„Ja, das da oben ist die Sonne und sie wird dein Untergang sein. Mach das Beste aus deiner Zeit.“

Der Schneemann wurde sauer.

„Das ist ungerecht. Ich bin keine Eintagsfliege, die einfach so hinweg schmilzt.“

„Eintagsfliegen schmelzen nicht…“, warf der Baum ein.

„Das war auch nur eine Metapher.“

„Achso… Entschuldigung.“

Der Baum und der Schneemann standen eine Weile herum und hingen ihren Gedanken nach.

Nach einigen Stunden schielte der Baum in Richtung Schneemann, der sorgevoll in den Himmel schaute.

„Weißt du mein Junge..“, unterbrach der Baum die Stille. „Du könntest vielleicht doch viele Jahre leben.“

Der Schneemann blickte erstaunt zum Baum: „Wie das?“

„Weißt du, es gibt einen Ort, an dem ist es immer Winter. Dort leben Tiere, die sich dem Schnee angepasst haben und sie mögen Schnee. Also werden sie sicherlich auch Schneemänner mögen.“

„Wo ist der Ort?“, fragte der Schneemann aufgeregt nach.

„Er heißt Nordpol und liegt in dieser Richtung.“

Der Baum zeigte mit einem Ast über das Feld zum Horizont. Der Schneemann konnte nichts außer einer weißen Fläche erkennen.

„Baum, ich ziehe zum Nordpol.“

„Bist du sicher? Es wird sicher ein weiter Weg sein.“

„Ich werde es versuchen. Ich bin ein großer Schneemann. Ich schaffe das schon.“

Der Baum nickte und wünschte dem Schneemann viel Glück auf seiner Reise.

Der Schneemann holte tief Luft und hüpfte ein paar Zentimeter in die Luft.

„Donnerwetter! Du kannst ja hüpfen.“, sagte der Baum erstaunt.

Der Schneemann grinste stolz und hüpfte einen Meter nach vorne. Dann noch einen. Und noch einen.

Der Baum sah zu, wie der Schneemann immer kleiner wurde und winkte zum Abschied.

Der Schneemann hüpfte den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch. Schneemänner brauchten keinen Schlaf und unermüdlich hüpfte er weiter. Er sah erstaunlich Dinge. Er sah große Häuser, Straßen, viele Menschen und sogar Wälder. Und er musste zugeben, dass die Bäume in den Wäldern wirklich geschwätzig waren.

Der Schneemann hüpfte immer weiter nach Norden. An manchen Tagen wurde es etwas wärmer und er dachte, er würde nicht mehr genug Kraft haben für seine Reise. Doch er hatte Glück und es wurde wieder kälter. Ein kleiner Schneesturm gab ihm neue Kraft und er hüpfte und hüpfte.

Eines Tages hörte er ein Rauschen. Je weiter er hüpfte, desto lauter wurde das Rauschen. Der Schneemann wurde neugierig und sprang schneller auf einen Hügel zu. Unter dem Schnee spürte der Schneemann Sand und als er den Gipfel des Hügels erreichte sah er das Unglaublichste in seinem Leben. Er sah Wasser. Keinen Teich oder zugefrorenen See, die er auf seiner Reise öfters sah.

Nein…es war viel, viel mehr Wasser. Es war ein ganzes Meer.

Der Schneemann hüpfte langsam zum Strand. Er staunte über die Weite des Meeres. Die Wellen spülten den Sand hin und her. Als das Wasser die untere Kugel des Schneemanns berührte, schmolz etwas von seinem Schnee. Der Schneemann schaute traurig in Richtung Horizont. Irgendwo da draußen war der Nordpol… und er konnte ihn nicht erreichen.

Plötzlich hörte er ein Schluchzen. Er blickte nach links und sah einen weiteren Schneemann. Er hatte eine beeindruckende Karotte als Nase, dafür trug er aber nur einen alten Nachttopf als Hut und keinen hübschen Zylinder.

Der Schneemann konnte noch mehr Schneemänner sehen, die vereinzelt am Strand standen. Und es wurden mehr. Alle suchten den Nordpol. Sie alle hatten viel auf ihrer Reise erlebt und erzählten sich von ihren Abenteuern. Sie schwatzten und lachten und irgendwann war der Strand voll von Schneemännern. Manche sprachen fremde Sprachen doch irgendwie konnten sie sich verständigen. Alle hatten das gleiche Ziel und standen nun vor einem Hindernis, welches ihnen den Weg zum Nordpol versperrte.

So vergingen die Tage. Es wurde wärmer und die kleineren Schneemänner schmolzen langsam dahin.

Der Schneemann sah traurig zu, wie all seine neuen Freunde immer kleiner und dünner wurden. Sie hatten so viele tolle Dinge erlebt und all diese Erinnerungen und Eindrücke schmolzen mit der Sonne dahin.

Der Schnee des Schneemanns war fest und er stand ein wenig im Schatten einer Düne. So sah er zu, wie ein Schneemann nach dem anderen verschwand bis er wieder ganz alleine war.

Er war nun viel dünner als zum Beginn seiner Reise. Die Sonne strahlte und kitzelte seine Mohrrübennase. Er musste niesen und er verlor einen Knopf.

Sein letzter Sonnenaufgang war das schönste, was er je erlebt hatte. Der Himmel glühte rot. Der Himmel schien zu brennen und Möwen flatterten lustig umher. Nur ein Hauch von einem Wind war zu spüren und der Schneemann lächelte, als er die erste und letzte Blume in seinem kurzen Leben sah.

Der Schneemann verwandelte sich in Wasser und floss in das große Meer zu all den anderen Schneemännern.

Zurück blieben einige Kohlestückchen, eine verschrumpelte Mohrrübe und ein schwarzer Zylinder, der vom Wind erfasst wurde und weit auf das Meer geweht wurde…. in Richtung Nordpol.

 

 

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